Hier und da und bald weg
Am letzten Tag in Hamburg wollte ich noch etwas erleben. Also folgte ich den Empfehlungen, die mir der Puffvater im Hotel gegeben hatte.
Als erstes fand ich einen grossen Märit unter den Geleisen der Hochbahn. Eine gute Gelegenheit für einen Kaffee und ein zweites Frühstück.
Vorbei an einem nebligen Fluss und dem Fernsehturm unter blauem Himmel gelangte ich in ein interessantes Quartier. Hier war’s nicht so “Hamburg, wir haben’s ja”, sondern eher berlinerisch “arm aber sexy”. Hier gefiel es mir und ich schlürfte einen Kaffee in der untergehenden Sonne.
Als die Sonne untergegangen und der Nebel wieder aufgetaucht war, besuchte ich nochmals den Hafen. Dort liegt ein echtes russischen U-Boot, das man besichtigen kann.
Obwohl es eines der grössten Nicht-Atom-U-Boote der Welt ist, sind die Platzverhältnisse eher bedrückend. Wie man monatelang so eingesperrt, im Schichtbetrieb in einer Hängematte schlafend, einmal in der Woche drei Minuten duschend, Dienst tun kann ohne durchzudrehen, ist erstaunlich. Immerhin ist das Essen auf U-Booten das beste in der gesamten Armee.
Kaum wieder an der Oberfläche, ging’s weiter zu einer geführten Tour durch St. Pauli. Durch die Strassen gehend, erzählte uns der Führer die Geschichte von und Geschichten über St. Pauli.
Angefangen hat es als Sammelbecken von in Hamburg nicht erwünschten Leuten und Industriezweigen. Gleichzeitig war es ein Puffer zu der bösen dänischen Stadt Altona, die nur allzu nah an Hamburg lag. Da man ausserhalb der eigentlichen Stadt war, galten die strengen hamburger Sitten nicht und alle Arten von sonst verbotenen Vergnügungen wurden hier angeboten.
Zwar versuchte man ab und zu, die Moral wieder herzustellen und die Lasterhöllen zu verbieten. Doch nie so ganz ernsthaft, schliesslich konnte man damit gut Geld verdienen.
So wurde z.B. das Gebiet dem heiligen Pauli unterstellt, um die Sünden abzumildern. Oder das Problem “Hermannstrasse” (das Zentrum der Prostitution) wurde gelöst, indem man die Strasse in Herbertstrasse umbenannte. Sofort gab es keine Prostitution mehr in der Hermannstrasse.
Heute ist jedoch von der ursprünglichen Reeperbahn mit den kleinen Seemannskneipen nicht mehr viel übrig. Die Strassen sind von Junggesellenabschieden bevölkert und überall lauert Abzocke. “Nackt meine Möpse streicheln” für 20 Euro? Nackt ist dann der Kunde und die Möpse sind Hunde.
Die Tour sollte eigentlich zwei Stunden dauern. Nach zweieinhalb Stunden sah der Führer auf die Uhr und meinte, er erzähle jetzt noch eine halbe Stunde und dann gingen wir noch ein Bier nehmen.
Das Bier nahmen wir in einer der letzten richtigen Kneipen. Gebaut in den 50er Jahren und bis vor ein paar Jahren noch von der ursprünglichen Besitzerin geleitet. Der neue Pächter hat die Auflage, alles gleich weiter zu führen und nichts zu ändern. Das sieht man dem Mobiliar und den Preisen auch an. Der Kundschaft gefällts und sie kommt bunt gemischt und zahlreich.
Als dann auch der inoffizielle Teil der Führung fertig war und der Rest der Gruppe nach Hause ging, trank ich mit dem Führer noch ein privates Bier. Er schwärmte von Irland und dass er dorthin auswandern wollte.
Kurz nachdem auch er nach Hause ging, winkte mich ein alter Mann an seinem Ecktisch. Es war ein alter Seemann. Er lud mich zu einem Bier ein, denn seine alten Kollegen sind entweder tot oder kommen nicht mehr in die Kneipe.
Als ich sagte ich sei Schweizer, war er sehr erfreut und meinte Sulzer-Schiffsdiesel seien die besten. Er war Maschinist und erzählte mir bei den nächsten Bieren alles über die Schifffahrt früher im Allgemeinen und über Dieselmotoren im Besonderen.
Es war interessanter und langer Tag. Ein würdiger Abschluss meiner zweiten Reise in den Norden.
Am nächsten Morgen, das heisst kurz vor Mittag, meinte der Hotelbesitzer wieder, ich sei ein Schlingel, immer so spät nach Hause zu kommen. Beim Bezahlen der Rechnung schlug er dann vor, ich solle meine Buchung stornieren, damit wir uns die fünf Tage Tourismusabgabe sparen können. Er war offenbar auch ein Schlingel.
Ich fuhr zurück in die Schweiz und das Allererste das ich dort machte: Ich ass einen Hamburger.